Das Foto zeigt den Innenraum des Staatstheaters Cottbus.

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Ronja Räubertochter im Staatstheater Cottbus| 19.11.2024

Wow – ein gruseliger Gewitterbeginn. Blitze zucken, es raucht und kracht – nach 10 Sekunden weint das erste Kind. Kurz darauf abgelöst von einem noch schluchzenden Lachen, als Räuberhauptmann Mattis in die Welt hineinruft: „Ich habe ein Kind bekommen!“ Auf der Bühne ist eine Räuberburg aus dem Nebel getreten, die – gemeinsam mit ihrer Rückseite und der (angedeuteten) Schlucht im Vordergrund – ganz wunderbare Spielebenen für alle kommenden Situationen bietet. Es beginnt ein teils etwas rohes, oft lustiges, allerdings auch in einigen Szenen grenzwertiges Spiel eines sehr gut besetzten und bestens aufgelegten Schauspiel-Ensembles. Zunächst jedoch der nächste Schreck, als die Mattisburg in krachendem Knall, Feuer und Rauch zerbricht – wieder weinen Kinder. An dieser Stelle sei eingefügt, die Altersempfehlung bitte unbedingt zu beachten. Zur Premiere stand sie auf 6, inzwischen auf 8 – es waren jedoch viele 4-5 Jährige in der Vorstellung. Zwar wird Ronja Räubertochter als märchenhaftes Familienstück zur Weihnachtszeit angekündigt. Doch Christian Schönfelder hat zu Astrid Lindgrens Kinderbuch eine Bühnenfassung geschrieben, in der das Märchenhafte auf die eher gruseligen Aspekte vieler Märchen konzentriert scheint. Und Jule Kracht hat in Cottbus so inszeniert, dass kleine Kinder bitte zu Hause bleiben sollten. Denn bei all der großen Spielfreude, den lustigen Passagen, den Einfällen, die uns zum Lachen bringen – wohnt dem Ganzen doch ein gehöriges Maß von Düsternis inne. Zwar haben sich die meisten Kinder, als beispielsweise die Graugnome erscheinen, fast an das Gruseln gewöhnt, doch nur, bis böse krähende Wilddruden hereinfliegen. Leider geht durch die Intensität solcher Darstellungen einiges an Handlung verloren, die ohnehin mal unklare Sprünge, dann wieder Pausen macht. Fehlende Textverständlichkeit an Stellen, die man doch gern mitbekommen hätte, führt dazu, dass sich die Inszenierung phasenweise vor allem in ihrem Kontext erschließt. Das ist schade, den Kindern jedoch überwiegend egal, sie achten eh nicht auf jedes Wort. Eher freuen sie sich über schauspielerisch durchweg sehr gut interpretierte Figuren, die einfallsreichen Kostüme und Ausstattungsdetails. Dass dabei der Kostümierung ziemlich tiefe Überlegungen der Macher zugrunde liegen, erschließt sich aus Begleitinformationen zum Stück. Liest man dort von zeitgemäßen Gedanken von kultureller Aneignung bis zu Patchwork-Familien, stellt sich allerdings die Frage, wie zeitgemäß der Grad des Fluchens im Stück für Kinder von heute ist, oder die Schlussfolgerung der Kinder auf das Verhalten der Eltern, mit 12 Jahren abzuhauen – besonders aber stellt sich die Frage der Angemessenheit einer Szene, in der ein am Boden liegendes, gefesseltes und blutendes Kind von Erwachsenen mit Füßen getreten wird. Ganz ohne den Begriffen Cancel Culture oder Wokeness irgendeine Rechtfertigung geben zu wollen, finde ich hier mehr Sensibilität in einem märchenhaften Familienstück zur Weihnachtszeit angebracht.

Jens Pittasch